Astrid Müller wurde 1956 in Baden-Württemberg geboren. Nach einem Germanistik- und Kunststudium arbeitet sie einige Jahre als Lehrerin. Viele Jahre war die Speicherbühne in der Bremer Überseestadt der Ort, an dem sie mit Kolleg*innen sinnliches Theater für experimentier- und denkfreudige Menschen produzierte. Seit 2020 ist die Bühne nun „mobil“, doch Ihre Themen wie Migration, Identität, Heimat, Rassismus, Demokratie wandern mit.
Kennt man jemals den anderen?
Der Vater von Doan, einer jungen Frau, die als Kind vietnamesischer Eltern in Frankreich aufwächst, wird Opfer eines Schlaganfalls und kann nicht mehr sprechen: er lebt jetzt in Schweigen gehüllt, kann nur „O“ – und “A“ Laute von sich geben. Da wird der jungen Frau Doan bewusst, dass sie eigentlich nichts von ihm weiß, von seiner Vergangenheit, von seiner Herkunft. Jetzt ist es zu spät, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.
Dies ist schicksalhafte Ironie: sie, die von Berufs wegen Fragen stellt, weil sie Journalistin ist, sie, die Migranten aus aller Herren Länder interviewt hat, hat nie ihren eigenen Vater befragt. Sie weiß nichts, bzw. hat nie die Geschichte ihrer Familie erforscht, die als Exilanten Vietnam verlassen haben.
In ihrer Familie ist das die Regel – man schweigt.
Aus dem Französischen von Dr. Philippe Wellnitz
Gelesen von Astrid Müller