„Wenn eine meiner Figuren sich an den Rand einer Klippe stellt, sollte sie damit rechnen, dass ich sie runterschubse, nur um zu sehen, was passiert…“
Gerrit Wustmann spricht im Interview mit Madjid Mohit über seine Kurzgeschichtensammlung „Nichts daran ist witzig”. In zehn Geschichten voll tiefschwarzem Humor, bevölkert von Verzweifelten, Verlierern und anderen Gespenstern bedient sich Gerrit Wustmann bei sämtlichen Genres und kehrt das Innerste nach außen. Die perfekte Lektüre für lange dunkle Herbstabende. Oder für all jene, die an stillgelegten Strecken auf den Zug warten.
Er wurde 1982 in Köln geboren und ist freier Schriftsteller sowie Journalist. „Nichts daran ist witzig” ist sein dreizehntes Buch. Für seine literarische Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Gerrit, trinkst du eigentlich auch so viel Kaffee wie die Figuren in deinem neuen Buch?
GW: Ja, das kommt ungefähr hin.
Die erste der zehn Geschichten beginnt mit dem Besuch eines Beamten, der gruselig-absurde Fragen an den Protagonisten und noch gruseligere Formulare dabei hat. Hattest du schon oft Ärger mit Ämtern?
GW: Zum Glück bin ich davon bislang verschont geblieben. Aber Freunde berichten mir immer wieder die absurdesten Geschichten. Ein befreundetes Paar zum Beispiel musste durch eine regelrechte Odyssee, um heiraten zu können. Das Problem war einerseits, dass beide keinen deutschen Pass haben und andererseits, dass Formulare offenbar erst dann bearbeitet werden, wenn sie eine DIN-normierte Staubschicht angesetzt haben.
Daran ist wirklich nichts witzig…
GW: Nein. Aber man übersteht es nicht ohne Humor, glaube ich.
Wie oft schaffst du es, Ärgernisse mit Humor zu nehmen?
GW: Nicht oft genug.
Das hast du mit einigen deiner Figuren gemeinsam, scheint mir. In Zeiten des autofiktionalen Erzählens liegt die Frage nahe, wie autobiografisch deine Geschichten sind…
GW: Viel weniger, als man denkt.Es gibt im Buch natürlich Elemente, die auf eigenem Erleben basieren, aber es sind nicht viele. Ich bin, von ganz wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel Dinçer Güçyeters großartigem Buch „Unser Deutschlandmärchen“ abgesehen, kein großer Fan von diesem Autofiktionstrend. Ich mag viel lieber klassisch erzählte, fiktive Geschichten, die dürfen gern auch eskapistisch sein.
Apropos Form: Bislang hast du vor allem Gedichte geschrieben. Und Sachtexte. Erzählprosa nur sehr selten mal. Wie kommt es, dass du nun einen Band mit Kurzgeschichten gemacht hast?
GW: Ich hatte einfach Lust drauf. Viele dieser Geschichten schwirrten mir schon jahrelang im Hinterkopf umher, aber es gab immer Gründe oder Ausreden, sie nicht zu schreiben. Und als ich dann endlich am Schreibtisch saß und loslegte, konnte ich zeitweise gar nicht mehr aufhören. Es war wie ein Sog, dem ich nachgeben musste. Das hatte ich bei der Lyrik so nie.
In „Nichts daran ist witzig“ gibt es Geistergeschichten, Kafkaeskes, Weirdes, Alptraumhaftes, Lustiges und sogar einen Krimi. Kannst du dich nicht wenigstens auf ein Genre festlegen?
GW: Nö. Oft weiß ich, wenn ich mit einer Story beginne, selbst noch gar nicht, was da am Ende genremäßig bei herauskommt, und lasse mich einfach überraschen.
Aber eine Tendenz zum Düsteren und bisweilen zum Phantastischen ist schon zu erkennen…
GW: Ich habe seit jeher einen Soft Spot für das Horror-Genre. Das Dunkle interessiert mich, auch das Absurde, das Unerwartete, das Abwegige. Kein anderes Genre war in den letzten zwanzig Jahren so vielfältig und vielschichtig, so experimentierfreudig und originell. Also ungefähr, seit der Boom des Genres in den Neunzigern ein Ende fand und es in die Kleinverlage abgewandert ist. Die Prosa von Brian Evenson oder Steve und Melanie Tem, junge Autoren wie der Ungar Attila Veres oder der Niederländer Thomas Olde Heuvelt zeigen Buch um Buch, was erzählerisch alles noch möglich ist. Das sind Autoren, die konsequent fortsetzen, was mit Poe, Kafka, Aickman begonnen hat. Leider kommt nur sehr wenig davon in deutscher Übersetzung an. Tem übersetze ich deshalb gerade selbst. Nächstes Jahr erscheint dann ein Band mit Geschichten von ihm. Endlich!
Bei manchen deiner Geschichten hatte ich das Gefühl, als hättest du ein diabolisches Grinsen im Gesicht, wenn du deinen Figuren schlimme Dinge antust…
GW: Wenn eine meiner Figuren sich an den Rand einer Klippe stellt, sollte sie damit rechnen, dass ich sie runterschubse, nur um zu sehen, was passiert…
So wie den armen Dago in der Geschichte „Alles neu“, den seine gesundheitlichen Zipperlein buchstäblich in den Wahnsinn treiben, meinst du?
GW: Genau. Wobei diese Figur, dieser Dago, ziemlich schnell die Kontrolle übernommen hat. Von mir ist nur die Grundidee, dass da dieser Typ sitzt, an seinem fünfzigsten Geburtstag, der das Älterwerden nur noch anhand von Arztbesuchen zählt und sich einen neuen Körper wünscht. Also gebe ich ihm diese Möglichkeit, ganz nach dem ‚Was wäre wenn’-Prinzip. Was er daraus gemacht hat, hat mich selbst überrascht. Aber was das genau ist, wollen wir hier nicht verraten, das können alle dann selbst lesen…
Das heißt, du plottest nicht, skizzierst nicht vor dem Schreiben eine Struktur?
GW: Nein. Notizen mache ich auch nie. Bei guten Ideen muss ich nur eine Weile warten, die entwickeln sich bis zu einem gewissen Grad von selbst, bis ich das Gefühle habe, loslegen zu können. Oft habe ich eine Figur, eine Ausgangssituation und den Schluss. Das ist der Optimalfall, denn dann geht das Schreiben sehr schnell. Oft ist es aber auch so, dass die Figuren plötzlich Dinge tun, mit denen ich nicht gerechnet habe, und alles in eine neue Richtung lenken. Das sind die schönsten Momente beim Schreiben, wenn der Text ein Eigenleben entwickelt und er sich mir quasi diktiert.
Als würde ein Geist hinter dir stehen und dir die Geschichte ins Ohr flüstern, was ja in einer der Geschichten auch passiert…
GW: Manchmal fühlt es sich fast so an.
Und, hat der Geist dir schon neue Geschichten ins Ohr geflüstert?
GW: Er plappert ohne Pause…
Na dann los, schreib sie auf. Danke für das Gespräch. Und den Kaffee!
GW: Sei mein Gast!
Das versteht jetzt nur, wer das Buch gelesen hat. Also noch ein Grund, es endlich aufzuschlagen!
„Nichts daran ist witzig” wird ab dem 1. September überall erhältlich sein und kann ab jetzt hier vorbestellt werden.