Beschreibung
Lieber sterbe ich, als nicht zu küssen. Der Titel spiegelt zugleich das Thema und die Machart des Corona-Tagebuchs. Nachrichten Erfahrungen, Gespräche über Leben und Sterben, über Bewältigungsstrategien und die Angst vor dem Tod, über vermeintliches Wissen, Rebellion und die Ratlosigkeit angesichts der Verordnungen und der weltweit steigenden Zahl der Toten.
In einer zunehmend aus den Fugen geratenen Welt, mit der Verschiebung der Grenzen – das Virus kennt keine Grenzen – sind die Aufzeichnungen mit der täglichen Datierung auch der Versuch, den tödlichen Zahlen und einem Gegner, den man nicht sieht, etwas entgegenzusetzen. Die Zeit strukturieren, mit einem selbstbestimmten Rhythmus täglicher Abläufe, auch wenn es vielleicht sinnlos erscheinen mag...
Im Individuellsten wird das Allgemeinste sichtbar
Mit der Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr fing alles an, wird sie nun abgesagt oder nicht? Widersprüchliche Meldungen ließen mir keine Ruhe, im Internet und in den Medien suchte ich nach Informationen und Anhaltspunkten. Etwas lag in der Luft, das nicht zu greifen, nicht zu begreifen, nicht zu sehen war: das Virus.
Erinnerungen an meine Kindheit im Zweiten Weltkrieg stiegen auf an ein Gefühl, dass etwas bevorstand, vor dem man sich schützen musste, das auf einen zukam, das permanent vorhanden war, das man aber nicht sehen konnte: der Krieg.
Was geschah um mich herum? Was veränderte sich täglich? Was geschah mit mir? Zu meiner Orientierung und als täglichen Anhaltspunkt begann ich mit dem Tagebuchschreiben. Jeden Morgen begann ich ein neues Blatt, sammelte den Tag über, beendete die Seite manchmal gegen Mitternacht.
Täglich war ich mit dem Fahrrad unterwegs, kaufte vor allem im Freien auf Wochenmärkten, sammelte, was ich sah und hörte, Wortfetzen, Gespräche, Stimmungen, Beobachtungen, begleitet von einem fast unwirklich strahlenden Frühlingshimmel. Ich telefonierte mit Freunden und Geschwistern, recherchierte im Internet, verfolgte die Tagespresse, hörte Radio, gesprochene Nachrichten und Kommentare waren mir näher, die Bilder in meinem Kopf begreifbarer als die Abbildungen im Fernsehen.
Literarische Texte fielen mir wieder ein, die von einem Lebensgefühl in Grenzbereichen erzählen zwischen einem sichtbaren Jetzt und einer unbegreiflichen Zukunft, die schon begonnen hat. Etwa Doris Lessings Roman Memoiren einer Überlebenden, in dem die Ich-Erzählerin von ihrer stillen Wohnung aus beobachtet, wie das Leben in der Stadt allmählich zusammenbricht, die Lebensmittelversorgung, das Verkehrswesen, die Kommunikationssysteme.
Das Tagebuch hatte ich ursprünglich nur für mich geschrieben, täglich schickte ich das fertige Blatt einem schreibenden Freund. Ich fürchtete schon, ihn damit zu langweilen oder gar zu belästigen. Aber dass er jeden Tag auf das Tagebuchblatt gewartet hat, bestätigte mir den Satz Theodor Adornos: Im Individuellsten wird das Allgemeinste sichtbar.
Rezensionen und Presse:
Weser-Kurier:
Ihre [Inge Bucks] Aufzeichnungen sind (…) ein wichtiges Zeitzeugnis, das die Anfangsphase der Pandemie noch einmal wie in einem Zeitraffer im Geiste des Lesers vorüberziehen lässt. mehr
bunten und binnen:
Hier geht es zum Videobeitrag von buten und binnen.
KULTUR.NETZ – Zeitschrift der verdi. (Kulturzeitschrift des VS Niedersachsen/ Bremen) 2020 Heft 3:
„Im Individuellsten wird das Allgemeine sichtbar“, teilt uns Adorno mit. Er hätte Inge Bucks persönlich gefertigte Rüstung gegen einen unsichtbaren Feind zu schätzen, womöglich zu nutzen gewusst. mehr
Bewertungen
Es gibt noch keine Bewertungen.